Entspannt heißt nicht gemütlich

Nach meinem extrem unentspannten letzten Marathon (siehe http://wozulaufschuhe.wordpress.com/2013/04/14/marathon-mit-fivefinger/ ) habe ich mir geschworen, so nie wieder einen Wettkampf zu absolvieren.

Nie wieder eine Rundenzeit-Tabelle, nie wieder die ständige Kontrolle der Laufzeiten. Meine Beschäftigung mit dem Chi-Runnning hat diesen Beschluß sicherlich verstärkt, ein Grundprinzip dort ist das entspannte Laufen.

Daher war der Plan für meine nächsten 3 Läufe ( Wachau-HM, Wolfgangseelauf und Wien Marathon 2014): Entspannt laufen, keine Zeitmessung während dem Lauf, keine Musik im Ohr, keine Zielvorgabe.

Dementsprechend neugierig bin ich gestern dann am Start in der Wachau gestanden, wie immer im Herbst eher nicht wirklich (strukturiert) trainiert, mit dem Vorsatz, die 21 km mit viel Aufmerksamkeit auf die Lauftechnik, entspannt zu genießen.

 

Und der Lauf wurde ein Genuss

 

Ich mein, besonderen Stress habe ich mir in der Wachau nie gemacht – dafür ist die Gegend zu schön, das Laufen entlang der träge fließenden Donau zu entspannend und mein Trainingszustand im Herbst zu unstrukturiert.

Aber diesmal ist mir erstmals aufgefallen, welchen Stress ich mir früher gemacht habe – ein paar Beispiele, an denen ich das gesehen habe:

  • km 9, ein Läufer plaudert mit einer Bekannten, die am Rad neben ihm herfährt. Frage der Radfahrerin: “Wie geht’s dir mit dem Tempo ?” Er:” Ganz schlecht, Runtastic ist ausgefallen”
    Erinnert mich an die 2-3 Läufe, bei denen mir das gleiche passiert ist – kein Runtastic, einmal keine Garmin-Uhr. Hat mir damals enormen Stress verursacht, eine Unsicherheit das ganze Rennen, kein gutes Gefühl
  • km 14, ein Läufer, dessen Pulsuhr ständig piepst – wollte ihn schon fragen, ob er gleich explodiert
  • km 16 (für Kenner, hier beginnt Krems/Stein, d.h. hier läuft man in die Stadt rein): Läufer zu seiner Begleiterin: “Jetzt beiß no amoi eine”

 

Und besonders auf den letzten Kilometer ist mir immer massiver aufgefallen, mit welcher Verkrampftheit, Verbissenheit viele Läufer laufen. Geballte Fäuste, stoßweiser Atem, enorme Anspannung des Körpers.

Auch das “Einrollen” des Oberkörpers, das Kleinmachen, gebückt Laufen ist mir diesmal sehr bewusst geworden. Kenne ich alles, habe ich alles auch gemacht.

 

Diesmal war mein Lauf jedoch anders

Schon vom Anfang an habe ich mich auf die richtige Laufhaltung konzentriert und (nachdem der gröbere Stau nach ca. 5 km langsam weniger wurde) einfach das Tempo so gestaltet, wie sich mein Körper gefühlt hat. (http://www.runtastic.com/de/benutzer/Christian-Decker/sportaktivitaeten/120383254 ) – Im Schnitt bin ich damit immer rund um die 5:00 Min / km gelaufen – Ausreißer waren KM 1 (zu viele Läufer), KM 5 (hier hat sich ein Läufer an mich drangehängt und wir haben geplaudert, bis ich gemerkt habe, dass ich mein Tempo an seins angepasst habe), km 12 und km 19 sind mir schlicht nicht aufgefallen und am letzten KM war dann der Sprit aus ….

Irgendwann nach ca. 45 Minuten habe ich – mit einem Lächeln – mein wiederkehrendes Tief begrüßt. Mittlerweile kenne ich meinen Körper gut genug um zu wissen, dass der Wechsel zur Fettverbrennung bei mir immer deutlich spürbar ist – die Beine werden müde, ich fange mehr zu schwitzen an und der Atem wird schwerer. Früher ein Tiefschlag, heute kostet mich das ein Lächeln, weil ich weiß, dass das nach 500 Meter wieder vorbei ist und ich dann quasi ewig mit meinen Fettreserven laufen kann.

Und jedes Mal, wenn die Beine schwer geworden sind, jedes Mal, wenn ich eine Müdigkeit gespürt habe (und das ist immer wieder vorgekommen, weil entspannt bedeutet ja nicht gemütlich und langsam), habe ich meinen Körper bewusst entspannt, die Beine gelockert, und den Rücken wieder gestreckt und in die richtige Position gebracht. Ergebnis: Bei KM 18 der Gedanke “Na geh, jetzt ist es ja gleich aus….”

 

Ich freu mich schon auf den Chi-Running Workshop im Oktober, bis jetzt habe ich ja alle Techniken nur aus dem Buch gelernt und sie haben mir schon viel geholfen, freue mich schon drauf, wenn ein Trainer mir hier noch weiterhilft….

 

Zum Schluss noch ein Satz, der mir ganz wichtig ist:

Laufen ist eine Entwicklung, die der Mensch durchmacht und Laufen bedeutet für jeden Menschen etwas anderes. Ich schreibe in diesem Blog über Sachen, die ich erlebe, die ich spüre, die mir gut tun oder auch nicht. Das bedeutet nicht, dass diese Erlebnisse für andere gut sind, bedeutet nicht, dass meine Erfahrungen das einzig richtige sind. Laufen mit Pulsuhr, Laufen mit Tempokontrolle ist wichtig. Ziele setzen und erreichen wollen ist wichtig. Ein strukturiertes Training bringt einen viel weiter als ein reines “ich lauf immer die gleiche Strecke im gleichen Tempo”.

Aber: Die schlimmste Einstellung im Leben (nicht nur beim Laufen) ist: “Des homma imma scho so gmocht” – Meiner Meinung nach ist das Hinterfragen alter Gewohnheiten, die Neugierde auf Neue Sachen, Das Ausprobieren von ungewohnten Dingen mit dem Risiko des Scheiterns ganz wichtig – und wenn mir durch den Blog bei dem einen oder anderen das gelingt, bin ich schon zufrieden…

4 Kommentare zu „Entspannt heißt nicht gemütlich

  1. Hey Christian,

    wirklich sehr schöner Blog! Finde deine Lebensanschauung sehr reif und durchdacht. Ich selbst bin überhaupt kein Fan von Zeitmessung beim Laufen, für mich ist das Laufen fast ausschließlich zur Entspannung. Aber wie du sagst, vielleicht sollte ich mal etwas anderes ausprobieren.

    Vielen Dank auch für die Buchempfehlung!

    Liebe Grüße
    Martin

    • Danke für das Kompliment, freut mich immer wieder…
      ad Zeitmessung: Das ist das Dilemma, vor dem ich stehe – was rate ich jemanden, der nur zum Spaß läuft ? Das der mal richtig trainiert, damit er dann Spaß beim Laufen hat ? Auch wenns blöd klingt, denke ich, dass das trotzdem nicht ganz so falsch ist…
      Aber grundsätzlich: Was anderes ausprobieren kann nie schaden, immer das selbe ist langweilig..

      lg
      Christian

  2. Hallo Christian,

    ein wundervoller Blog-Beitrag!

    Du stellst dich außerhalb deiner Gewohnheiten neu auf und erkennst sofort, wie sehr dich diese Gewohnheiten bislang blockiert haben, siehe die anderen Läufer mit ihrer fatalen Abhängigkeit von unterstützender Technik.

    Es macht Spaß, dich lesend auf deiner „Es geht auch anders, und oftmals viel besser!“-Entdeckungsreise zu begleiten.

    Ich kann nur hoffen, dass viele Läuferinnen und Läufer, die deinen Blog besuchen, den Mut aufbringen, es dir gleichzutun!

    Liebe Grüße
    Wolfgang

  3. Hallo Christian,

    toller Bericht deines Laufes und deiner Eindrücke. Mir ist ähnliches bei eigentlich allem aufgefallen, ob beim Gitarre üben, Radfahren oder Kochen. Entspannt aber nicht immer gemütlich und langsam.

    Auch das überdenken eingefahrener Dinge ist ein guter und hilfreicher Ansatz.

    Gruß

    Stefan

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